Jürgen Roses Münchener Don Carlos-Inszenierung ist schon über 20 Jahre alt (Premiere: 1. Juli 2000), ist aber immer noch, dank ihrer zeitlosen Schönheit, beim Münchener Publikum äußerst beliebt. Das raffinierte Bühnenbild besteht aus einem offenen, sich nach hinten perspektivisch verjüngenden Kasten, an dessen linker Seitenwand ein riesiges, bedrohlich wirkendes Crucifix gelehnt ist. Alle 5 Akte spielen in diesem klaustrophobischen Raum, der die bedrückende Situation des Dramas hervorragend widerspiegelt. Dabei wird der Fontainebleau-Akt, der ja eine Art Prolog ist, als alptraumartige Rückblende aus der Sicht von Don Carlos inszeniert, so dass die Einheit des dramatischen Ortes gewahrt bleibt. Kontrastierend zu dem modernen Bühnenbild setzt Rose sehr elegante stilisiert historisierende Kostüme ein, fast durchgehend in bedrückendem schwarz, entsprechend der strengen Etikette des spanischen Hofes zur Zeit der Gegenreformation. Die tragischen Konflikte der Hauptpersonen, und die politische Anklage gegen religiöse Intoleranz, Despotie und unterdrückte Meinungsfreiheit werden trotz der ästhetischen und historisierenden Darstellung überzeugend vermittelt, so dass Schillers Dramenvorlage in dieser Inszenierung immer präsent wirkt. Szenischer Höhepunkt des Werkes ist bekanntlich die Autodafé-Szene im dritten Akt, die hier sehr geschickt auf den Kopf gestellt wird, indem der Scheiterhaufen mit den verurteilten Ketzern im Vordergrund der Szene steht, während der gefängnisartige Kasten des Einheitsbühnenbildes auf die Hinterbühne gezogen wurde. Der Einzug des Königs, des Hofes und der Geistlichen verläuft dabei hinter dem Scheiterhaufen quer über die Bühne, dabei werden riesige barocke Prozessionsfiguren, wie sie aus spanischen Karwochen-Prozessionen bekannt sind, von gruseligen, violett gekleideten Capuchones getragen. Das ärmlich gekleidete Volk jubelt dem grausamen Spektakel dabei zu, vor der Entzündung des Scheiterhaufens werfen sie dabei sogar glitzerndes Konfetti – ein zynischer Kommentar des Regisseurs zu dieser Szene, die hier fast unerträglich brutal wirkt.
In szenischer Hinsicht wurde hier also eine sehr niveauvolle und intelligente, aber auch nicht wirklich durch Innovation packende Repertoire-Inszenierung geboten. Musikalisch erwartete die Zuschauer dafür ein äußerst glanzvoller Opernfestspiel-Abend, der das Publikum zu begeistertem und langanhaltendem Applaus hinriss.
Erneut, wie schon bei den vorherigen Aida-Aufführungen, konnte Daniele Rustioni eine dramatische und packende Interpretation von Verdis düsterem Meisterwerk liefern, unterstützt von den sehr gut spielenden Musikern des Orchesters der Bayerischen Staatsoper. Die Kommunikation zwischen Bühne und Orchestergraben verlief hervorragend. Rustioni setzte dabei auf große dramatische Wirkungen und kräftige Farben, besonders auffällig waren dabei die stark betonten Pausen, die zur Steigerung der dramatischen Spannung beitrugen.
In der Titelpartie des unglücklichen Titelhelden sang Charles Castronovo. Er verfügt eher über eine lyrische Stimme, die aber ein ausreichend kerniges Timbre mit sicherer Höhe besitzt. So konnte er auch dank seiner Bühnenpräsenz die tragische Verzweiflung und die romantische Schwärmerei der Figur überzeugend vermitteln.
Maria Agresta als Königin ist ebenfalls eher eine lyrische Sängerin. An einigen Stellen klang ihre Stimme ein wenig hart und ließ den nötigen Legato-Schmelz vermissen, in den dramatischen Passagen glänzte die Stimme aber mit strahlenden Spinto-Tönen. Sehr anrührend gelang ihr die traurige Abschiedsarie im 2. Akt („Non pianger mia compagna“) und das finale Duett mit Don Carlos.
Liebling des Publikums war der russische Bariton Boris Pinkhasovich als Posa. Eine noble Erscheinung auf der Bühne, verfügt der Sänger über ein kräftiges und kerniges, dunkel gefärbtes Timbre mit einer strahlenden Höhe. Im Quartett mit Elisabeth, Eboli und dem König hatte man teilweise den Eindruck, dass ein Tenor an Stelle eines Baritons in dem Stück mitsingen würde. Die Sterbeszene war sängerisch und darstellerisch sehr ergreifend.
Clémentine Margaine als Eboli wurde ebenfalls für ihre Interpretation gefeiert. Ihr strahlender, ebenmäßiger und kräftiger Mezzosopran setzte dramatische Akzente. Als einzige Rolle in dem Stück darf die Sängerin in der „Canzone del velo“ auch ein wenig vokale Akrobitik präsentieren, was ihr hervorragend gelang und zum ersten Szenenapplaus der Aufführung führte.
Der Filippo von John Relyea war eine weitere positive Überraschung dieser Aufführung. Sein kraftvoller, metallisch klingender Bass vermittelte eine vitale und bedrohliche Interpretation dieser Rolle, die ja leider oft viel zu greisenhaft und larmoryant dargestellt wird. Die Gefährlichkeit des Tyrannen wurde so eindrucksvoll vermittelt, gleichzeitig gestaltete er die lyrischen Passagen (die große Arie, das Pariser Finale des vierten Aktes mit dem Zitat aus dem Requiem) ausdrucksstark und mit edlem Cantabile.
Gegenüber diesem eindrucksvollen König bedurfte es eines angemessenen Darstellers des Großinquisitors. Mit Dmitry Ulyanov stand ein imposanter und stimmgewaltiger Bass zur Verfügung, der die Rolle auch mit der nötigen Boshaftigkeit interpretierte.
Alexander Köpeczi, der noch am Vorabend als Ramfis in Aida mit einer Indisposition zu kämpfen hatte, war wieder in bester Form und verlieh der kurzen, aber effektvollen Rolle des geheimnisvollen Mönches mit wohltönendem Bass das nötige Gewicht.
Von den sehr guten Darstellern der Nebenrollen sei noch Erika Baikoff als sympathischer, gesanglich und szenisch sehr präsenter Tebaldo hervorgehoben.
Alle Rollen der schwierig zu besetzenden Oper waren also hervorragend besetzt, eine bemerkenswerte Ensembleleistung, die einen glanzvollen, packenden und ergreifenden Abend ermöglichte.
Don Carlos : Charles Castronovo
Elisabetta di Valois : Maria Agresta
Eboli : Clémentine Margaine
Filippo II : John Relyea
Rodrigo : Boris Pinkhasovich
Le Grand Inquisiteur : Dmitry Ulyanov
Un moine : Alexander Köpeczi
Le Comte de Lerme : Galeano Salas
La Voix du Ciel : Jessica Niles
Tebaldo : Erika Baikoff
Bayerisches Staatsorchester, Bayerischer Staatsopernchor (Johannes Knecht), dir. Daniele Rustioni
Mise en scène, décors et costumes : Jürgen Rose
Lumières : Michael Bauer
Don Carlo
Opéra en cinq actes de Giuseppe Verdi, livret de Joseph Méry et Camille du Locle, traduit en italien par Achille de Lauzières et Angelo Zanardini, créé dans la version originale française à Paris (Académie Impériale de Musique) le 11 mars 1867.
Bayerische Staatsoper de Munich, représentation du lundi 31 juillet 2023.